Entbindungen von der Schweigepflicht gegenüber dem Wirecard-Untersuchungsausschuss sind wirksam

Beschlüsse des BGH vom 27. Januar 2021 – StB 43, 44 und 48/20

Der 3. Untersuchungsausschuss der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages („Wirecard-Untersuchungsausschuss“) verhängte gegen drei Zeugen ein Ordnungsgeld. Diese hatten ihr Zeugnis vor dem Untersuchungsausschuss zu den Komplex „Wirecard“ betreffenden Fragen mit der Begründung verweigert, sie unterlägen als Berufsgeheimnisträger einer Verschwiegenheitspflicht; für eine Entbindung hiervon reichten die Erklärungen des Insolvenzverwalters und des aktuellen Vorstandes der Wirecard-AG nicht aus.

Der 3. Strafsenat hat die Ordnungsgeldbeschlüsse aufgehoben. Er hat entschieden, dass in der Sache zwar ausreichende Entbindungserklärungen vorlagen und die Zeugen daher das Zeugnis nicht verweigern durften. Allerdings hatten die Ordnungsgelder im Ergebnis deshalb keinen Bestand, weil ein Verschulden der Zeugen nicht festzustellen war. Hierfür war insbesondere von Bedeutung, dass eine höchstrichterliche Entscheidung zu der maßgeblichen Rechtsfrage fehlte und mehrere Oberlandesgerichte dazu unterschiedliche Auffassungen vertreten hatten.

Der 3. Strafsenat hat dahin erkannt, dass grundsätzlich diejenigen Personen befugt sind, einen Berufsgeheimnisträger von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, die zu jenem in einer geschützten Vertrauensbeziehung stehen. Hierunter fallen im Rahmen eines Mandatsverhältnisses mit einem Wirtschaftsprüfer regelmäßig nur der oder die Auftraggeber. Handelt es sich hierbei um eine juristische Person, können für diese diejenigen die Entbindungserklärung abgeben, die zu ihrer Vertretung zum Zeitpunkt der Zeugenaussage berufen sind. Ist über das Vermögen der juristischen Person das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt worden, ist dieser berechtigt, soweit das Vertrauensverhältnis Angelegenheiten der Insolvenzmasse betrifft.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 53 StPO:

(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt

[…]

3. Rechtsanwälte und Kammerrechtsbeistände, Patentanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Steuerberater und Steuerbevollmächtigte, Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Apotheker und Hebammen über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist; […]

[…]

(2) Die in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3b Genannten dürfen das Zeugnis nicht verweigern, wenn sie von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sind. […]

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
StB 43/20
vom
27. Januar 2021
in dem Verfahren
des Herrn
– Antragsteller –
Verfahrensbevollmächtigter:
gegen
den 3. Untersuchungsausschuss der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundes-tages, Platz der Republik 1, 11011 Berlin,
– Antragsgegner –
Verfahrensbevollmächtigter:
hier: Ordnungsgeld gegen den Antragsteller
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Januar 2021 gemäß § 36 Abs. 1 PUAG beschlossen:
1. Der Ordnungsgeldbeschluss des Antragsgegners vom 26./27. November 2020 (Z-38-O) wird aufgehoben.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
A.
Der Antragsteller wendet sich gegen einen ihn als Zeugen betreffenden Ordnungsgeldbeschluss des 3. Untersuchungsausschusses der 19. Wahlperi-ode des Deutschen Bundestages, des Antragsgegners.
Der Antragsteller ist Partner sowie Gesellschafter der E. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und leitet deren Forensikabteilung. Die durch zwei Partner, unter anderem einen Wirtschaftsprüfer, handelnde Wirt-schaftsprüfungsgesellschaft und die durch ihre damaligen Vorstände handelnde Wirecard AG schlossen im September 2016 eine Mandatsvereinbarung darüber, Vorwürfe eines Mitarbeiters von E. Indien aufzuklären (“ „). In diesem Rahmen wurde der Antragsteller von September 2016 bis April 2018 tätig.
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Der Antragsgegner wurde am 1. Oktober 2020 mit dem Auftrag eingesetzt, das Verhalten der Bundesregierung und ihrer Geschäftsbereichsbehörden im Zu-sammenhang mit Vorkommnissen um den Wirecard-Konzern auch im Zusam-menwirken mit anderen öffentlichen sowie privaten Stellen umfassend zu unter-suchen (BT-Drucks. 19/22996 S. 2; BT-PlPr. 19/180 S. 22669). Er beschloss, Beweis durch Vernehmung des Leiters des Geschäftsbereiches „Assurance. Forensic & Integrity Service“ der E. GmbH Wirtschaftsprüfungs- gesellschaft zu erheben. Als solcher wurde – nach namentlicher Benennung – der Antragsteller zur Zeugenvernehmung am 26. November 2020 geladen. Der für die Wirecard AG bestellte Insolvenzverwalter erklärte ebenso wie deren aktueller Vorstand, den Antragsteller von seiner Verschwiegenheitspflicht gegenüber der Wirecard AG zu entbinden. Dieser teilte mit Schreiben seines Verfahrensbevoll-mächtigten vom 20. November 2020 dem Antragsgegner mit, sich auf „sein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 22 Abs. 1 PUAG i.V.m. §§ 53, 53a StPO“ zu berufen und keine Angaben als Zeuge zu machen. Dabei vertrat er unter nä-heren Ausführungen die Ansicht, dass ihm im Rahmen des geschützten Man-datsverhältnisses ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehe und keine wirksame Entbindung von der Schweigepflicht vorliege, da diese bei einer juristischen Per-son auch eine entsprechende Erklärung der ehemaligen Organwalter erfordere.
Der Antragsteller machte bei seiner Vernehmung zwar allgemeine Anga-ben, verweigerte aber, wie angekündigt, „zur Sache selbst, das heißt zu sämt- lichen Details und Inhalten des Mandats Wirecard,“ sein Zeugnis. Darauf setzte der Antragsgegner mit Beschluss vom 26./27. November 2020 ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000 € gegen den Antragsteller fest und begründete dies damit, dass dieser „das Zeugnis ohne Grund verweigert hat“. Der Vorsitzende erläuterte
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den Beschluss zunächst mündlich und fasste die Erwägungen in einem folgen-den Schreiben an den Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers zusam-men.
Der Antragsteller hält die Verhängung eines Ordnungsgeldes aus recht- lichen Gründen für unzulässig. Er habe das Zeugnis nicht ohne gesetzlichen Grund verweigert. Aus den im Schreiben an den Antragsgegner dargelegten Gründen habe das Risiko einer Strafbarkeit nach § 203 StGB bestanden. Jeden-falls habe er nicht schuldhaft, sondern vor dem Hintergrund der unklaren Rechts-lage aus Gründen der Vorsicht sowie gemäß der Empfehlung seines Rechtsbei-standes gehandelt. Im Übrigen seien die formalen Anforderungen an einen Ord-nungsgeldbeschluss nicht erfüllt und dessen Begründung unzureichend.
Der Antragsteller beantragt mit seinem als Beschwerde bezeichneten Schriftsatz,
den Ordnungsgeldbeschluss aufzuheben.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, der Antragsteller habe sich zu Unrecht auf ein Zeugnis-verweigerungsrecht berufen. Dieses sei angesichts der Befreiungserklärungen sowohl des derzeitigen Vorstandes der Wirecard AG als auch deren Insolvenz-verwalters gegenstandslos geworden. Eine Gefahr der Strafverfolgung nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB habe keinesfalls bestanden.
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B.
Die als Antrag auf gerichtliche Entscheidung auszulegende Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet.
I. Die Beschwerde ist als Antrag auf gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Ordnungsgeldbeschlusses auszulegen, da bislang – anders als in Fällen des § 36 Abs. 3 PUAG oder des § 304 StPO – keine gerichtliche Entscheidung vorliegt, gegen die sich eine Beschwerde richten könnte.
Die Zulässigkeit des Antrags ergibt sich aus § 36 Abs. 1 PUAG. Zwar eröffnet die Vorschrift ihrem Wortlaut nach lediglich allgemein die Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs für Streitigkeiten nach diesem Gesetz, ohne diese näher zu bezeichnen. Allerdings ist bereits mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG davon aus-zugehen, dass hierunter auch solche Konstellationen fallen, in denen die etwaige Rechtsverletzung eines Betroffenen durch den Untersuchungsausschuss in Rede steht (vgl. allgemein zum gerichtlichen Rechtsschutz gegen Tätigkeiten eines Untersuchungsausschusses BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 1987 – 2 BvR 1178/86, BVerfGE 77, 1, 52 mwN; zum Rechtsschutz gegen die Fest- setzung eines Ordnungsgeldes Waldhoff/Gärditz/Liebermann, PUAG, 2015, § 27 Rn. 45; Glauben/Brocker, PUAG, 3. Aufl., § 27 Rn. 11; Pieper/Spoerhase, PUAG, 2012, § 27 Rn. 3; NK-VwGO/Sodan, 5. Aufl., § 40 Rn. 231; enger Wald-hoff/Gärditz, PUAG, 2015, § 36 Rn. 24). Nach den Erwägungen im Gesetz- gebungsverfahren soll eine Streitigkeit im Sinne des § 36 Abs. 1 PUAG gegeben sein, wenn der Deutsche Bundestag, einer seiner Untersuchungsausschüsse oder Teile dieser Organe „einer der Beteiligten an einer gerichtlich ausgetrage-nen Auseinandersetzung im Zusammenhang mit einem Untersuchungsverfahren ist“ (BT-Drucks. 14/5790 S. 21).
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Insofern ist der Senat zur Entscheidung berufen, da eine Rechtsstreitigkeit unter Beteiligung eines Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundes- tages vorliegt und eine Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts nicht be-gründet ist (vgl. allgemein BGH, Beschluss vom 17. Februar 2009 – 3 ARs 24/08, BGHR PUAG § 36 Zuständigkeit 1 Rn. 15; Prehn, NVwZ 2013, 1581, 1583 f.; Waldhoff/Gärditz, PUAG, 2015, § 36 Rn. 20). Hierunter fällt die Überprüfung der Ausschussarbeit im Einzelnen, zum Beispiel bezüglich der Erhebung bestimmter Beweise, insbesondere soweit es um eine dem Ablauf eines Strafprozesses vergleichbare Ordnung des Untersuchungsverfahrens im engeren Sinne geht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Juni 2005 – 2 BvQ 18/05 Rn. 37, BVerfGE 113, 113, 123; Maunz/Dürig/Klein, GG, 92. EL, Art. 44 Rn. 245). Funktionell ist der Senat mangels einer speziellen Kompetenzzuweisung an den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs zuständig (s. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2009 – 3 ARs 24/08, BGHR PUAG § 36 Zuständigkeit 1 Rn. 16).
II. Der Antrag ist begründet. Zwar hat der Antragsteller das Zeugnis ohne gesetzlichen Grund im Sinne des § 27 Abs. 1 PUAG verweigert (s. sogleich un-ter 1.). Allerdings handelte er insoweit nicht schuldhaft (s. unter 2.).
1. Der Antragsteller war nicht gemäß § 22 Abs. 1 PUAG, § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 53a Abs. 1 Satz 1 StPO oder aus einem sonstigen Grund zur Ver-weigerung des Zeugnisses berechtigt.
a) Der Antragsteller war von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit wirk-sam entbunden (§ 22 Abs. 1 PUAG, § 53 Abs. 2 Satz 1, § 53a Abs. 2 StPO).
aa) Grundsätzlich sind diejenigen Personen dazu befugt, einen Berufs- geheimnisträger von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, die zu jenem
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in einer geschützten Vertrauensbeziehung stehen. Hierunter fallen im Rahmen eines Mandatsverhältnisses mit einem Wirtschaftsprüfer regelmäßig nur der oder die Auftraggeber. Handelt es sich hierbei um eine juristische Person, können für diese diejenigen die Entbindungserklärung abgeben, die zu ihrer Vertretung zum Zeitpunkt der Zeugenaussage berufen sind. Ist über das Vermögen der juristi-schen Person das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt worden, ist dieser berechtigt, soweit das Vertrauensverhältnis Angelegenheiten der Insolvenzmasse betrifft. Hierzu im Einzelnen:
(1) Eine nähere allgemeine gesetzliche Regelung dazu, wer berechtigt ist, im Sinne des § 53 Abs. 2 Satz 1 StPO von der Verpflichtung zur Verschwiegen-heit zu entbinden, fehlt (vgl. indes für Notare § 18 Abs. 2 BNotO). Nach der Ge-setzessystematik sowie Sinn und Zweck der Vorschrift kann von einer Pflicht der-jenige befreien, dem gegenüber diese besteht. Für die Frage, wem ein Berufs- geheimnisträger zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, sind insbesondere die zu-grundeliegenden berufsrechtlichen Regelungen in den Blick zu nehmen, da § 53 StPO den Schutz des „berufsbezogenen Vertrauensverhältnisses“ zum Zweck hat (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2014 – StB 8/13, NJW 2014, 1314 Rn. 8 mwN; vgl. bereits RG, Urteil vom 12. Mai 1922 – I 1628/21, RGSt 57, 63, 66).
Ist einem Wirtschaftsprüfer im Rahmen eines bestehenden Auftragsver-hältnisses etwas anvertraut oder bekannt geworden, steht es dem Auftraggeber oder den Auftraggebern zu, über eine Entbindung von der Schweigepflicht zu entscheiden; denn die allgemeine berufsrechtliche Pflicht zur Verschwiegenheit gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 WPO schützt regelmäßig nur den Auftraggeber (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2016 – VI ZR 441/14, WM 2016, 508 Rn. 25 mwN).
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Würde gleichwohl zusätzlich auf Dritte abgestellt, hätte das zur Konse-quenz, dass es demjenigen, der die Dienstleistung eines Wirtschaftsprüfers in Anspruch nimmt und in dessen Interesse der Geheimnisträger tätig wird, versagt wäre, zur Wahrung seiner eigenen Belange eine Zeugenaussage zu ermöglichen (vgl. auch BGH, Urteil vom 30. November 1989 – III ZR 112/88, BGHZ 109, 260, 271). Zudem führte dies zu einem erweiterten Anwendungsbereich des eine Aus-nahme von der Pflicht zur umfassenden Aufklärung der materiellen Wahrheit darstellenden Zeugnisverweigerungsrechts (s. dazu BVerfG, Beschluss vom 27. Juni 2018 – 2 BvR 1405/17 u.a., NJW 2018, 2385 Rn. 89). Etwas anderes kommt in spezifisch gelagerten Sonderkonstellationen in Betracht, in denen der Dritte seinerseits in einer individuellen Vertrauensbeziehung zu dem Berufs- geheimnisträger steht (s. BGH, Urteil vom 30. November 1989 – III ZR 112/88, aaO S. 272; zu „Doppelmandaten“ OLG Hamm, Beschluss vom 27. Februar 2018 – III-4 Ws 9/18, ZInsO 2018, 1152, 1156 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 53 Rn. 46c).
(2) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine juristische Person selbst berechtigt, über die Schweigepflicht von Berufsgeheimnisträgern zu entscheiden, die sie allein beauftragt hat. Da eine juristische Person indes nicht unmittelbar handlungsfähig ist, können die Erklärung nur die für sie handelnden natürlichen Personen abgeben. Weitergehende Entbindungserklärungen natürlicher Perso-nen im eigenen Namen sind dagegen im Allgemeinen entbehrlich.
α) Wie bereits dargelegt, steht im Falle vertraglicher Beziehungen die Be-fugnis, Wirtschaftsprüfer von der Verschwiegenheitspflicht zu befreien, regelmä-ßig dem Vertragspartner zu (vgl. für das Anbahnungsverhältnis etwa BGH, Be-schluss vom 18. Februar 2014 – StB 8/13, NJW 2014, 1314 Rn. 8 mwN). Handelt es sich hierbei um eine juristische Person, hat folglich diese zu entschei-
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den (ebenso OLG Hamm, Beschluss vom 27. Februar 2018 – III-4 Ws 9/18, ZInsO 2018, 1152, 1155; OLG Köln, Beschluss vom 1. September 2015 – III-2 Ws 544/15, StV 2016, 8, 9 f.; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18. Juni 2009 – 1 Ws 289/09, NJW 2010, 690 f.; Tully/Kirch-Heim, NStZ 2012, 657, 660 ff.).
Soweit für sie innerhalb des berufsbezogenen Vertrauensverhältnisses natürliche Personen tätig geworden sind, bedarf es deren Entbindungserklärung grundsätzlich nicht. Allein dadurch, dass sie für die juristische Person handelten, haben sie noch kein eigenes geschütztes Vertrauensverhältnis zu dem Berufs-geheimnisträger aufgebaut. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Interessen der juristischen Person einerseits und der für diese handelnden natürlichen Person andererseits auseinanderfallen können. Stünde beiden die Entscheidung über die Schweigepflicht zu, beeinträchtigte dies letztlich diejenige, in deren Interesse das Vertrauensverhältnis begründet wurde.
Die dagegen erhobenen Bedenken greifen nicht durch. Es existiert kein allgemeiner Grundsatz, wonach ein Vertrauensverhältnis nur zwischen natür- lichen Personen bestehen könne und eine effektive Dienstleistung des Berufs- geheimnisträgers voraussetze, dass sich ihm die Organwalter vorbehaltlos öff-nen könnten (derart etwa OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Dezember 1992 – 1 Ws 1155/92, StV 1993, 346 mwN; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 8. De-zember 2016 – 1 Ws 334/16, NJW 2017, 902 Rn. 6; LG Berlin, Beschluss vom 5. März 1993 – 505 AR 2/93, wistra 1993, 278, 279; LR/Bertheau/Ignor, StPO, 27. Aufl., § 53 Rn. 78; MüKoStPO/Percic, § 53 Rn. 57; Ehrenberg, Die Ver-schwiegenheit der Angehörigen rechtsberatender, steuerberatender und wirt-schaftsprüfender Berufe, 2012, S. 145; s. auch SSW-StPO/Eschelbach, 4. Aufl., § 53 Rn. 44; Radtke/Hohmann/Otte, StPO, § 53 Rn. 40; Städler, Die Auswirkun-gen eines Personenwechsels bei Vertretungsorganen von GmbH und AG auf die
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Entbindungsberechtigung nach § 53 Abs. 2 S. 1 StPO, 2012, S. 279 f.). Gegen-über der Bedeutung der handelnden natürlichen Personen ist zu beachten, dass die juristische Person – wie hier eine Aktiengesellschaft (§ 1 Abs. 1 AktG) – von der Rechtsordnung als eigenständiges Rechtssubjekt anerkannt ist, das Träger von Rechten und Pflichten sein kann (vgl. zum persönlichen Vertrauen im Dienst-verhältnis BGH, Urteil vom 2. Mai 2019 – IX ZR 11/18, DB 2019, 1379 Rn. 13 mwN; s. zudem BVerfG, Beschlüsse vom 27. Oktober 2003 – 2 BvR 2211/00, BVerfGK 2, 97, 100; vom 13. September 1993 – 2 BvR 1666/93 u.a., NVwZ 1994, 54, 56; SK-StPO/Rogall, 5. Aufl., § 53 Rn. 205). Den für sie tätigen Personen ist im Allgemeinen ersichtlich, dass sie nicht selbst in einem Vertrauensverhältnis zum Berufsgeheimnisträger stehen und im Konfliktfall die Interessen der diesen Beauftragenden Vorrang haben (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1989 – III ZR 112/88, BGHZ 109, 260, 271; OLG Hamm, Beschluss vom 27. Februar 2018 – III-4 Ws 9/18, ZInsO 2018, 1152, 1155; OLG Köln, Beschluss vom 1. Sep-tember 2015 – III-2 Ws 544/15, StV 2016, 8, 10). Ansonsten ergäbe sich die Folge, dass bei widerstreitenden Belangen der juristischen Person und ihres früheren Organwalters letztlich dieser sich durchsetzen könnte, selbst wenn die juristische Person Vertragspartei eines Dienstleistungsverhältnisses ist.
β) Eine juristische Person wird bei der Erklärung über eine Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht durch die zu diesem Zeitpunkt entscheidungs- befugten Organe vertreten (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27. Februar 2018 – III-4 Ws 9/18, ZInsO 2018, 1152, 1155; OLG Köln, Beschluss vom 1. Septem-ber 2015 – III-2 Ws 544/15, StV 2016, 8, 9 f.; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18. Juni 2009 – 1 Ws 289/09, NJW 2010, 690, 691; zum Strafantrag entspre-chend Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 77 Rn. 14 mwN; s. zur Maßgeblichkeit des Vernehmungszeitpunkts auch Gesetzentwurf zum VerSanG, BT-Drucks. 19/23568 S. 97).
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(3) Ist über das Vermögen der juristischen Person das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter ernannt worden, ist dieser berechtigt, den Berufsgeheimnisträger von der Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, soweit sich das Vertrauensverhältnis auf Angelegenheiten der Insolvenzmasse bezieht. Die Dispositionsbefugnis des Geheimnisherrn geht insoweit gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den Verwalter über (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juni 2018 – AnwZ (Brfg) 61/17, NJW-RR 2018, 1328 Rn. 7; Urteil vom 16. Februar 2016 – VI ZR 441/14, WM 2016, 508 Rn. 23; entsprechend zu § 6 KO BGH, Urteile vom 30. November 1989 – III ZR 112/88, BGHZ 109, 260, 270; vom 6. Juni 1994 – II ZR 292/91, NJW 1994, 2220, 2225; s. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 53 Rn. 46b; KK-StPO/Bader, 8. Aufl., § 53 Rn. 47; HK-InsO/Kayser/ Thole, 10. Aufl., § 80 Rn. 45; MüKoInsO/Vuia, 4. Aufl., § 80 Rn. 44, 79; aA SSW-StPO/Eschelbach, 4. Aufl., § 53 Rn. 44; MüKoStPO/Percic, § 53 Rn. 57; HK-StPO/Gercke, 6. Aufl., § 53 Rn. 39; differenzierend SK-StPO/Wolter, 5. Aufl., § 53 Rn. 207). Dessen Verwaltungs- und Verfügungsrechte erstrecken sich nicht ausschließlich auf das Gebiet des Vermögensrechts (vgl. bereits RG, Beschluss vom 15. Oktober 1904 – I 118/04, RGZ 59, 85, 86; s. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Oktober 1993 – 3 W 367/93, OLGZ 1994, 461, 462; OLG Nürn-berg, Beschluss vom 19. Juli 1976 – 5 W 21/76, OLGZ 1977, 370, 371 f.). Mithin kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Zeuge in einem Straf- oder Zivil-verfahren – oder einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss – aussagen soll, sondern auf den Gegenstand des betroffenen Vertrauensverhältnisses und eine Bedeutung für die Insolvenzmasse (vgl. Henssler, AnwBl 2019, 216, 219 f.; RG, Beschluss vom 15. Oktober 1904 – I 118/04 aaO S. 87). Einer zusätzlichen Entbindungserklärung durch frühere oder gegenwärtige Organe bedarf es auf-grund der bereits ausgeführten Erwägungen im Normalfall nicht.
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bb) Nach diesen Maßstäben hatte der Antragsteller kein Zeugnisverwei-gerungsrecht im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO; denn er wurde von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit wirksam entbunden. Da Entbindungserklä-rungen sowohl des Insolvenzverwalters als auch des gegenwärtigen Vorstandes und Aufsichtsrates vorliegen, bedarf keiner weiteren Erörterung, ob in der gege-benen Konstellation eine solche mehrseitige Erklärung erforderlich war. Jeden-falls ist die vom Antragsteller für notwendig erachtete Entpflichtung durch weitere Personen entbehrlich. Es ist weder vorgebracht noch sonst ersichtlich, dass die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft etwa im Sinne eines Mehrfachmandates in Ver-trags- oder sonstigen individuellen Vertrauensbeziehungen zu früheren Vorstän-den persönlich stand.
cc) Eine Gefahr der Strafverfolgung mit Blick auf die Verletzung eines ihm als Wirtschaftsprüfer oder mitwirkende Person anvertrauten Geheimnisses ist nicht gegeben. Angesichts seiner bestehenden Aussagepflicht sind davon er-fasste Angaben nicht unbefugt im Sinne des § 203 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 StGB.
b) Ein sonstiger gesetzlicher Grund, das Zeugnis zu verweigern, bestand nicht. Insofern bedarf keiner abschließenden Klärung, inwieweit einzelne nicht beantwortete Fragen im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 PUAG ungeeignet waren oder nicht zur Sache gehörten und dies den Antragsteller zur Nichtbeantwortung berechtigte. Unabhängig davon, dass er weder den Vorsitzenden gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 PUAG aufforderte, Fragen zurückzuweisen, noch sich sonst bei der Vernehmung auf eine Unzulässigkeit berief, beantwortete er jedenfalls auch solche Fragen nicht, deren Zulässigkeit außer Zweifel steht.
2. Die Verhängung des Ordnungsgeldes war indes ausgeschlossen, weil der Antragsteller nicht schuldhaft das Zeugnis verweigerte.
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a) Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes setzt Schuld voraus (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 28. November 1973 – 2 BvL 42/71, BVerfGE 36, 193, 200; vom 29. März 2007 – 2 BvR 224/07, juris Rn. 14; BGH, Beschlüsse vom 28. Dezember 1978 – StB 235/78, BGHSt 28, 240, 259; vom 13. Oktober 1995 – StB 71/95, BGHR StPO § 70 Verschulden 1). Eine solche fehlt, wenn sich der Betroffene in einem unvermeidbaren Irrtum über die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens befand. Daher hindert ein derartiger Irrtum die Ahndung einer grund-losen Zeugenverweigerung (s. BVerfG, Beschlüsse vom 28. November 1973 – 2 BvL 42/71 aaO; vom 20. Dezember 2018 – 2 BvR 2377/16, NJW 2019, 584 Rn. 56). Ähnliches kann gelten, wenn ein Zeuge bei einer komplexen Rechts-frage den Umfang seiner Zeugenpflicht nicht erkannt hat (vgl. Beschluss vom 28. Dezember 1978 – StB 235/78, BGHSt 28, 240, 259) oder er nach sorgfältiger Prüfung durch einen anwaltlichen Beistand auf dessen Rat und mit vertretbarer Begründung das Zeugnis verweigert (BVerfG, Beschluss vom 29. März 2007 – 2 BvR 224/07, juris Rn. 14).
b) Demgemäß ist ein Verschulden nicht festzustellen. Der Antragsteller hat die Aussage auf anwaltlichen Rat hin verweigert. Dies hat er näher ausgeführt und sich dabei, wie vom Antragsgegner gesehen, auf in Rechtsprechung sowie Schrifttum vertretene Meinungen berufen. Da eine höchstrichterliche Entschei-dung zu der maßgeblichen Rechtsfrage bislang fehlt und dazu insbesondere divergierende Entscheidungen von Oberlandesgerichten vorliegen (s.o.; zu un-geklärten Rechtsfragen etwa BGH, Urteile vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 253/16, NJW 2017, 1487 Rn. 61; vom 10. Oktober 1989 – KZR 22/88, BGHR GWB § 35 Abs. 1 Verbotsirrtum 1), ist dem Antragsteller sein Verhalten nicht vor-werfbar. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass er nicht allein den Verstoß ge-gen Berufspflichten, sondern überdies eine etwaige Strafbarkeit nach § 203 StGB
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befürchtete. Unter den gegebenen Umständen ändert die Mitteilung des Aus-schussvorsitzenden, der Antragsgegner „stehe auf dem Standpunkt, dass die Er-klärung des Insolvenzverwalters ausreicht“, hieran nichts (vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 14. April 1998 – 2 Ws 62/98 u.a., StraFo 1999, 90, 91; dagegen bei vorangegangener obergerichtlicher Klärung OLG Hamm, Beschluss vom 27. Februar 2018 – III-4 Ws 9/18, ZInsO 2018, 1152, 1157).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 154 Abs. 1 VwGO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. November 2020 – 3 ARs 14/20, juris Rn. 24; vom 17. Februar 2009 – 3 ARs 24/08, juris Rn. 26).

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