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{"id":244,"date":"2022-05-25T16:36:08","date_gmt":"2022-05-25T15:36:08","guid":{"rendered":"https:\/\/insolvenzrechtsanwalt.eu\/?p=244"},"modified":"2022-05-25T16:36:08","modified_gmt":"2022-05-25T15:36:08","slug":"insolvenz-und-verjaehrungsbeginn","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/insolvenzrechtsanwalt.eu\/insolvenz-und-verjaehrungsbeginn\/","title":{"rendered":"Insolvenz und Verj\u00e4hrungsbeginn"},"content":{"rendered":"
BGH, Urteil vom 7.4.2022 \u2013 IX ZR 107\/20<\/p>\n<\/div>\n
ECLI:DE:BGH:2022:070422UIXZR107.20.0<\/p>\n<\/div>\n
Volltext: BB-Online BBL2022-1089-4<\/p>\n<\/div>\n
Amtlicher Leitsatz<\/p>\n<\/div>\n
Hinsichtlich des Beginns der Verj\u00e4hrungsfrist hat sich der Insolvenzverwalter die bereits vor Er\u00f6ffnung des Insolvenzverfahrens erlangte Kenntnis des Insolvenzschuldners von den den Anspruch begr\u00fcndenden Umst\u00e4nden und der Person des Drittschuldners grunds\u00e4tzlich zurechnen zu lassen.<\/p>\n<\/div>\n
Sachverhalt<\/p>\n<\/div>\n
Der Kl\u00e4ger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren \u00fcber das Verm\u00f6gen der P.\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 AG, vormals F.\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 AG (nachfolgend: Schuldnerin). Die Schuldnerin war zusammen mit anderen Gesellschaften der sogenannten\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 G.\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 auf dem unregulierten Kapitalmarkt t\u00e4tig. Der Beklagte ist Inhaber von Genussrechten bei der Schuldnerin, welchen deren Allgemeine Gesch\u00e4ftsbedingungen zugrunde lagen, wonach an die Genussrechtsinhaber unter bestimmten Voraussetzungen und abh\u00e4ngig von Jahres\u00fcbersch\u00fcssen j\u00e4hrlich eine Basisdividende und eine \u00dcbergewinnbeteiligung ausgesch\u00fcttet werden sollten (vgl. zum Wortlaut der Allgemeinen Gesch\u00e4ftsbedingungen: BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020 – IX ZR 247\/19, NJW 2021, 234). Die Jahresabschl\u00fcsse der Schuldnerin f\u00fcr die Jahre 2011 bis 2013 wiesen Jahres\u00fcbersch\u00fcsse aus. Dementsprechend erhielt der Beklagte von der Schuldnerin am 25. August 2011 eine Basisdividende in H\u00f6he von 612,50 \u20ac und eine \u00dcbergewinnbeteiligung in H\u00f6he von 293,81 \u20ac (insgesamt 906,31 \u20ac), am 26. September 2012 eine Basisdividende in H\u00f6he von 1.510,21 \u20ac und eine \u00dcbergewinnbeteiligung in H\u00f6he von 958,82 \u20ac (insgesamt 2.469,03 \u20ac) und am 26. September 2013 eine Basisdividende in H\u00f6he von 2.021,96 \u20ac und eine \u00dcbergewinnbeteiligung in H\u00f6he von 1.951,54 \u20ac (insgesamt 3.973,50 \u20ac), insgesamt mithin 7.348,84 \u20ac.<\/p>\n<\/div>\n
\n<\/div>\n
Die hinter der\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 G.\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 stehenden Akteure gerieten wegen des Verdachts des Kapitalanlagebetrugs in den Blick der zust\u00e4ndigen Staatsanwaltschaft. Im Oktober\/November 2013 kam es daher zu Durchsuchungen. Auf am 13. November 2013 beim Insolvenzgericht eingegangenen Eigenantrag wurde am 1. April 2014 \u00fcber das Verm\u00f6gen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren er\u00f6ffnet. Im Juli 2018 wurden Verantwortliche der\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 G.\u00a0\u00a0\u00a0 wegen banden- und gewerbsm\u00e4\u00dfigen Betrugs beziehungsweise der Beihilfe dazu verurteilt. Die Verurteilungen sind, mit Ausnahme der des Angeklagten P.\u00a0\u00a0\u00a0 , rechtskr\u00e4ftig (BGH, Urteil vom 29. Oktober 2021 – 5 StR 443\/19, BeckRS 2021, 43375).<\/p>\n<\/div>\n
\n<\/div>\n
Der Kl\u00e4ger focht die Feststellung der Jahresabschl\u00fcsse der Schuldnerin f\u00fcr die streitgegenst\u00e4ndlichen Jahre an, soweit die Jahresabschl\u00fcsse nach \u00a7 325 Abs. 2 HGB im Bundesanzeiger bekannt gemacht worden sind (\u00a7\u00a7 256, 257 AktG).<\/p>\n<\/div>\n
\n<\/div>\n
Der Kl\u00e4ger verlangt mit der Behauptung, die vertraglichen Voraussetzungen der Aussch\u00fcttung von Dividende und \u00dcbergewinnbeteiligung h\u00e4tten in den ma\u00dfgeblichen Jahren nicht vorgelegen, die von der Schuldnerin an den Beklagten erbrachten Aussch\u00fcttungen aufgrund von Schenkungsanfechtung, hilfsweise bereicherungsrechtlich, zur\u00fcck. Die Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision m\u00f6chte der Kl\u00e4ger die Verurteilung des Beklagten erreichen.<\/p>\n<\/div>\n
Aus den Gr\u00fcnden<\/p>\n<\/div>\n
5\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Die Revision hat Erfolg.<\/p>\n<\/div>\n
I.<\/p>\n<\/div>\n
6\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Das Berufungsgericht hat zur Begr\u00fcndung ausgef\u00fchrt: Der R\u00fcckzahlungsanspruch aus \u00a7 143 Abs. 1, \u00a7 129 Abs. 1, \u00a7 134 InsO scheide aus, weil es sich bei den Zahlungen an den Beklagten nicht um unentgeltliche Leistungen im Sinne von \u00a7 134 InsO gehandelt habe. Eine Leistung ohne Rechtsgrund k\u00f6nne eine unentgeltliche Leistung sein, wenn die R\u00fcckforderung der Leistung nach \u00a7 814 BGB wegen der Kenntnis des fehlenden Rechtsgrunds ausgeschlossen sei. Es sei schon fraglich, ob es f\u00fcr das Bestehen des Auszahlungsanspruchs nicht auf die festgestellten Jahresabschl\u00fcsse, sondern auf die wahre Ertragslage der Schuldnerin ankomme. Diese Frage k\u00f6nne aber dahinstehen, weil selbst im letzteren Fall eine unentgeltliche Leistung wegen fehlender Kenntnis der Schuldnerin von dem fehlenden Rechtsgrund nicht gegeben sei. Der Leistende m\u00fcsse positive Kenntnis der Rechtslage im Zeitpunkt der Leistung haben, wobei eine Parallelwertung in der Laiensph\u00e4re ausreiche. Dass der Vorstand der Schuldnerin eine solche positive Kenntnis im Leistungszeitpunkt gehabt habe, k\u00f6nne im Streitfall nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Mit dem Nachweis eines bewusst betriebenen Schneeballsystems k\u00f6nne nicht bewiesen werden, dass den Organen der Schuldnerin damit auch positiv bekannt gewesen sei, die Bilanzen seien bilanzrechtlich falsch gewesen. Denn auch ein bewusst betriebenes Schneeballsystem sage allein und f\u00fcr sich genommen nichts dar\u00fcber aus, ob in diesem nur fingierte Scheingewinne erwirtschaftet w\u00fcrden. Gegen die Annahme, dass der Vorstand der Schuldnerin im Zeitpunkt der Auszahlung nicht nur gewusst habe, dass die Bilanzen fehlerhaft gewesen seien, sondern auch, dass bei Ber\u00fccksichtigung notwendiger Abwertungserfordernisse und zutreffender Bilanzierung Jahresfehlbetr\u00e4ge bestanden h\u00e4tten, die einem Auszahlungsanspruch des Beklagten entgegengestanden h\u00e4tten, spreche entscheidend, dass die Jahresabschl\u00fcsse nicht nur mit Billigung des Aufsichtsrats verbindlich festgestellt, sondern dar\u00fcber hinaus durch einen Wirtschaftspr\u00fcfer testiert worden seien. Es spreche nichts daf\u00fcr, dass der Vorstand der Schuldnerin demgegen\u00fcber ein \u00fcberlegenes Fachwissen gehabt habe. Auch fehle es an Anhaltspunkten daf\u00fcr, dass der Vorstand der Schuldnerin zumindest im Rahmen einer laienhaft rechtlichen Schlussfolgerung angenommen habe, dass die Jahresabschl\u00fcsse der Schuldnerin nichtig und damit unverbindlich gewesen seien. Insbesondere k\u00f6nne nicht angenommen werden, dass die Organe der Schuldnerin zumindest im Rahmen einer Parallelwertung in der Laiensph\u00e4re gewusst h\u00e4tten, was wann mit welchem Wert zutreffend h\u00e4tte bilanziert werden m\u00fcssen. Aus den vom Kl\u00e4ger vorgelegten Schriftst\u00fccken ergebe sich solches nicht.<\/p>\n<\/div>\n
II.<\/p>\n<\/div>\n
7\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Diese Ausf\u00fchrungen halten rechtlicher Nachpr\u00fcfung nicht in allen Punkten stand.<\/p>\n<\/div>\n
8\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 1. Mit der Begr\u00fcndung des Berufungsgerichts l\u00e4sst sich ein Anspruch des Kl\u00e4gers auf R\u00fcckgew\u00e4hr der Aussch\u00fcttungen aus \u00a7 143 Abs. 1, \u00a7 134 Abs. 1 InsO nicht verneinen. Nach den vom Berufungsgericht bislang getroffenen Feststellungen l\u00e4sst sich nicht ausschlie\u00dfen, dass der Beklagte von der Schuldnerin im Zeitraum von vier Jahren vor dem Antrag auf Er\u00f6ffnung des Insolvenzverfahrens unentgeltliche Leistungen erhalten hat (\u00a7 134 Abs. 1 InsO).<\/p>\n<\/div>\n
9\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 a) Die zugunsten des Beklagten erfolgten Aussch\u00fcttungen stellen Leistungen der Schuldnerin dar. Infolge des Verm\u00f6gensabflusses haben die Zahlungen eine objektive Gl\u00e4ubigerbenachteiligung (\u00a7 129 Abs. 1 InsO) bewirkt (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020 – IX ZR 247\/19, NJW 2021, 234 Rn. 13; vom 22. Juli 2021 – IX ZR 26\/20, WM 2021, 1646 Rn. 9; vom 2. Dezember 2021 – IX ZR 110\/20, WM 2022, 126 Rn. 8). Sie erfolgten innerhalb von vier Jahren vor dem Antrag auf Insolvenzer\u00f6ffnung.<\/p>\n<\/div>\n
10\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 b) Die Auszahlungen k\u00f6nnen eine unentgeltliche Leistung im Sinne von \u00a7 134 Abs. 1 InsO darstellen.<\/p>\n<\/div>\n
11\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 aa) Eine unentgeltliche Leistung l\u00e4ge nicht vor, wenn der Beklagte aufgrund des Genussrechtsvertrags Anspruch auf die Aussch\u00fcttungen gehabt hat, weil diese dann objektiv den Ausgleich f\u00fcr die Gew\u00e4hrung des Genussrechtskapitals darstellten (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2021, aaO Rn. 11; vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 10). Das Gleiche gilt, wenn die Schuldnerin sie ohne Rechtsgrund vorgenommen und ihr deswegen ein Bereicherungsanspruch gegen den Beklagten zugestanden hat, wenn also der Beklagte aufgrund des Genussrechtsvertrags keinen Anspruch auf die Auszahlungen gegen die Schuldnerin gehabt hat und er einem Bereicherungsanspruch der Schuldnerin nicht \u00a7 814 BGB hat entgegenhalten k\u00f6nnen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2021, aaO Rn. 12; vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 11).<\/p>\n<\/div>\n
12\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 bb) Revisionsrechtlich ist davon auszugehen, dass die Aussch\u00fcttungen der Schuldnerin an den Beklagten rechtsgrundlos erfolgten.<\/p>\n<\/div>\n
13\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 (1) Der Genussrechtsvertrag, den der Beklagte mit der Schuldnerin geschlossen hatte, ist weder nach \u00a7 138 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 13 mwN) noch nach \u00a7 134 BGB unwirksam (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 14 mwN).<\/p>\n<\/div>\n
14\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 (2) Ob dem Beklagten ein Anspruch auf die streitgegenst\u00e4ndlichen Aussch\u00fcttungen zustand, ergibt sich mithin aus dem Genussrechtsvertrag und aus den dem Vertrag zugrundeliegenden Genussrechtsbedingungen. Die streitgegenst\u00e4ndlichen Allgemeinen Gesch\u00e4ftsbedingungen sind dahin auszulegen, dass die materiellen Voraussetzungen der Aussch\u00fcttungen sich nach der objektiven (wahren) Ertragslage der Schuldnerin bestimmen. Unerheblich sind die endg\u00fcltig festgestellten Jahresabschl\u00fcsse sowie ihre Wirksamkeit nach dem Aktiengesetz (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020 – IX ZR 247\/19, NJW 2021, 234 Rn. 21 ff; vom 22. Juli 2021 – IX ZR 26\/20, WM 2021, 1646 Rn. 18; vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 17, 22).<\/p>\n<\/div>\n
15\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 (a) Danach kommt es – entgegen der Annahme des Berufungsgerichts – allein darauf an, ob die Schuldnerin in den streitgegenst\u00e4ndlichen Jahren tats\u00e4chlich Gewinne erwirtschaftet hat. Ob dies der Fall war, h\u00e4ngt davon ab, ob die streitgegenst\u00e4ndlichen Jahresabschl\u00fcsse, welche jeweils Gewinne ausgewiesen haben, fehlerhaft und bei fehlerfreier Erstellung der Jahresabschl\u00fcsse Gewinne nicht angefallen sind. Enthalten die Jahresabschl\u00fcsse handelsrechtlich zul\u00e4ssige Bewertungen, liegt ein Fehler nicht vor (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2021, aaO Rn. 19; vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 18).<\/p>\n<\/div>\n
16\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 (b) Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Jahresabschl\u00fcsse fehlerhaft sind, die Schuldnerin entgegen den Abschl\u00fcssen tats\u00e4chlich Verluste erwirtschaftet hat und ein Auszahlungsanspruch des Beklagten danach nicht bestand, die Auszahlungen mithin ohne Rechtsgrund erfolgt sind. Insbesondere hat es dahinstehen lassen, ob die Jahresabschl\u00fcsse nach \u00a7 256 AktG nichtig waren, ob die in den im Strafverfahren eingeholten Gutachten enthaltenen Bewertungen zu den Bilanzierungsfehlern zutreffen und ob die Jahresabschl\u00fcsse nach Zerschlagungswerten h\u00e4tten aufgestellt werden m\u00fcssen. Davon ist deswegen revisionsrechtlich auszugehen.<\/p>\n<\/div>\n
17\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 cc) Mit der Begr\u00fcndung des Berufungsgerichts kann die Kondiktionssperre des \u00a7 814 BGB nicht verneint werden.<\/p>\n<\/div>\n
18\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 (1) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass nach \u00a7 814 Fall 1 BGB das zum Zwecke der Erf\u00fcllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zur\u00fcckgefordert werden kann, wenn der Leistende oder der die Leistung bewirkende Vertreter gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Erforderlich ist die positive Kenntnis der Rechtslage im Zeitpunkt der Leistung (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020 – IX ZR 247\/19, NJW 2021, 234 Rn. 30 mwN; vom 22. Juli 2021 – IX ZR 26\/20, WM 2021, 1646 Rn. 22; vom 2. Dezember 2021 – IX ZR 110\/20, WM 2022, 126 Rn. 21).<\/p>\n<\/div>\n
19\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 (2) Bereits die Formulierung im Berufungsurteil, es fehle an Anhaltspunkten, dass der Vorstand der Schuldnerin zumindest im Rahmen einer laienhaft rechtlichen Schlussfolgerung angenommen habe, die Jahresabschl\u00fcsse der Schuldnerin seien nichtig und deshalb habe ein Auszahlungsanspruch des Beklagten nicht bestanden, weckt Zweifel, ob das Berufungsgericht vom richtigen Ma\u00dfstab ausgegangen ist. Die Schuldnerin leistete ohne Rechtsgrund, wenn sie nach ihrer wahren Ertragslage nur Verluste erwirtschaftete, die positiven Jahresabschl\u00fcsse also fehlerhaft w\u00e4ren, ohne dass es auf deren Nichtigkeit nach \u00a7 256 AktG ank\u00e4me (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020 – IX ZR 247\/19, NJW 2021, 234 Rn. 25; vom 22. Juli 2021 – IX ZR 26\/20, WM 2021, 1646 Rn. 18; vom 2. Dezember 2021 – IX ZR 110\/20, WM 2022, 126 Rn. 22). Nur darauf musste sich daher die Kenntnis der Schuldnerin beziehen.<\/p>\n<\/div>\n
20\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 (3) Aber auch im \u00dcbrigen ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts fehlerhaft. Die Schuldnerin und die f\u00fcr sie handelnden Personen mussten nicht wissen, was wann mit welchem Wert h\u00e4tte bilanziert werden d\u00fcrfen. Vielmehr kann bereits das Wissen, dass verschiedene bilanzielle Wertans\u00e4tze aufgrund der ihnen bekannten Tatsachen \u00fcberh\u00f6ht waren, daf\u00fcr sprechen, dass ihnen die Unrichtigkeit der einen \u00dcberschuss ausweisenden Jahresabschl\u00fcsse bewusst war. Nach der ma\u00dfgeblichen Parallelwertung in der Laiensph\u00e4re k\u00f6nnen sie dann auch die rechtliche Schlussfolgerung gezogen haben, dass Anspr\u00fcche der Genussrechtsinhaber nicht bestanden (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 22. Juli 2021, aaO Rn. 25 ff).<\/p>\n<\/div>\n
21\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Den f\u00fcr die Schuldnerin handelnden Personen war die Wirkungsweise des Gesch\u00e4ftsmodells, das in dem Ankauf von Lebensversicherungspolicen, fondsgebundenen hochvolumigen Lebensversicherungen und von Goldsparvertr\u00e4gen bestand, bekannt. Ihnen kann damit bewusst geworden sein, dass die Verm\u00f6genswerte nicht ausreichend lange gehalten werden konnten, so dass die mit den hohen Anschaffungskosten bilanzierten Verm\u00f6gensgegenst\u00e4nde nicht den bilanzierten Wert besa\u00dfen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 23 ff). Dann war den f\u00fcr die Schuldnerin verantwortlich Handelnden unter Ber\u00fccksichtigung der Parallelwertung in der Laiensph\u00e4re m\u00f6glicherweise klar, dass die auf den hohen Werten basierenden Jahresabschl\u00fcsse fehlerhaft waren (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 25 aE mwN).<\/p>\n<\/div>\n
22\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 (4) Auch ist die W\u00fcrdigung des Berufungsgerichts hinsichtlich der vorgelegten Urkunden und der Aussage des Zeugen P.\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 unvollst\u00e4ndig und tr\u00e4gt den Schluss des Berufungsgerichts nicht, der Kl\u00e4ger habe nicht bewiesen, die Schuldnerin beziehungsweise die f\u00fcr sie verantwortlich handelnden Personen h\u00e4tten Kenntnis von der etwaigen Nichtschuld im Sinne von \u00a7 814 BGB gehabt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 27).<\/p>\n<\/div>\n
23\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 (5) Das Berufungsgericht h\u00e4tte den nicht widerlegten Vortrag des Kl\u00e4gers, dass die Schuldnerin in den ma\u00dfgeblichen Gesch\u00e4ftszweigen bewusst ein betr\u00fcgerisches Schneeballsystem betrieben habe, bei der W\u00fcrdigung nicht in G\u00e4nze au\u00dfer Acht lassen d\u00fcrfen. Die Annahme des Berufungsgerichts, ein Schneeballsystem sage f\u00fcr sich genommen nichts dar\u00fcber aus, ob lediglich (fingierte) Scheingewinne im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erwirtschaftet w\u00fcrden, ist in dieser Allgemeinheit nicht richtig. Ein Schuldner, der wei\u00df, dass er zwar in einem geringen Umfang eine gewinnbringende Gesch\u00e4ftst\u00e4tigkeit entfaltet, aber im \u00dcbrigen von den Neuanlegern Gelder einsammelt, um aus dem eingesammelten Geld an die Altanleger \u00fcber die tats\u00e4chlich erwirtschafteten Gewinne hinausgehende Scheingewinne auszuzahlen, wei\u00df, dass die \u00fcber die tats\u00e4chlich erwirtschafteten Gewinne weitere Gewinne ausweisenden Jahresabschl\u00fcsse fehlerhaft sind, weil sie – wenn es sich um keine F\u00e4lschungen handelt – unzul\u00e4ssige Bewertungen enthalten, wie vorliegend der Kl\u00e4ger behauptet (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2021 – IX ZR 26\/20, WM 2021, 1646 Rn. 35; vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 28).<\/p>\n<\/div>\n
24\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 dd) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, die Leistungen der Schuldnerin an den Beklagten seien nicht deswegen unentgeltlich im Sinne von \u00a7 134 Abs. 1 InsO, weil die Kondiktionssperre des \u00a7 817 Satz 2 BGB eingriffe. Die Voraussetzungen dieser Regelung liegen nicht vor (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020 – IX ZR 247\/19, NJW 2021, 234 Rn. 33 mwN; vom 22. Juli 2021, aaO Rn. 37; vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 31).<\/p>\n<\/div>\n
25\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Die weiteren Angriffe der Revision f\u00fchren zu keiner abweichenden Beurteilung. Soweit sie geltend macht, dass der Ausschluss der Kondiktionssperre des \u00a7 817 Satz 2 BGB dazu f\u00fchre, dass das Schneeballsystem am Laufen gehalten werde, indem die ausgezahlten Gewinne zur\u00fcckgefordert werden k\u00f6nnten, vermag dies keine andere Beurteilung zu begr\u00fcnden. Die Aussch\u00fcttungen an den Beklagten hatten ihre Grundlage in dem wirksamen Genussrechtsvertrag (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 32; so auch allgemein zur R\u00fcckzahlung von Gewinnen im Schneeballsystem M\u00fcnchKomm-BGB\/Schwab, 8. Aufl., \u00a7 817 Rn. 25). Da das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen hat, dass dem Beklagten oder seinen Eltern, anders als bei klassischen Schenkkreisen, bekannt war, dass es sich um ein Schneeballsystem handeln k\u00f6nnte, ist dieser Vertrag weder nach \u00a7 138 BGB noch nach \u00a7 134 BGB nichtig (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 13 f). Der Schutz des Genussrechtsinhabers wird \u00fcber die Kondiktionssperre des \u00a7 814 BGB gew\u00e4hrleistet.<\/p>\n<\/div>\n
26\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 2. Soweit das Berufungsgericht einen etwaigen Bereicherungsanspruch nach \u00a7 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB f\u00fcr verj\u00e4hrt gehalten hat, ist dies rechtsfehlerfrei (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2021, aaO Rn. 39). Es hat darauf abgestellt, dass die Verj\u00e4hrung bereits Ende 2016 eingetreten ist, da die Organe der Schuldnerin bereits im Jahr 2013 davon Kenntnis hatten, dass kein Gewinn erzielt wurde. Insofern die Revision unter Verweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24. Juli 2012 (II ZR 177\/11, WM 2012, 1779 Rn. 15) geltend macht, f\u00fcr den Beginn der Verj\u00e4hrung des bereicherungsrechtlichen Anspruchs sei nicht auf die Kenntnis des Schuldners, sondern nur auf die Kenntnis des Insolvenzverwalters und damit fr\u00fchestens auf das Er\u00f6ffnungsdatum abzustellen, ist dies nicht zutreffend.<\/p>\n<\/div>\n
27\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Im Falle des Gl\u00e4ubigerwechsels durch Abtretung (\u00a7 398 BGB), Legalzession (\u00a7 412 BGB) oder Gesamtrechtsnachfolge muss sich der neue Gl\u00e4ubiger – entsprechend \u00a7 404 BGB – die Kenntnis oder grob fahrl\u00e4ssige Unkenntnis des alten Gl\u00e4ubigers zurechnen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 1995 – VI ZR 246\/94, NJW 1996, 117, 118; vom 24. April 2014 – III ZR 156\/13, NJW 2014, 2345 Rn. 25; vom 30. April 2014 – IV ZR 30\/13, NJW 2014, 2492 Rn. 13; vom 30. April 2015 – IX ZR 1\/13, WM 2015, 1246 Rn. 12). Dies gilt auch f\u00fcr den Fall eines Wechsels des Verwalters (BGH, Urteil vom 30. April 2015, aaO). Nichts anderes gilt bei der Bestellung eines Insolvenzverwalters und dem damit gem\u00e4\u00df \u00a7 80 Abs. 1 InsO einhergehenden \u00dcbergang der Verf\u00fcgungsbefugnis \u00fcber die zur Insolvenzmasse geh\u00f6renden Forderungen auf ihn. Der Insolvenzverwalter hat sich die bereits vor Er\u00f6ffnung des Insolvenzverfahrens erlangte Kenntnis des Insolvenzschuldners von den den Anspruch begr\u00fcndenden Umst\u00e4nden und der Person des Drittschuldners zurechnen zu lassen, weil die Er\u00f6ffnung des Insolvenzverfahrens ansonsten zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Neubeginn der Verj\u00e4hrung f\u00fchren w\u00fcrde (vgl. OLG Hamm, VersR 2017, 610, 611; BeckOGK-BGB\/Piekenbrock, 2022, \u00a7 199 Rn. 124). Der Neubeginn der Verj\u00e4hrung ist seit der Schuldrechtsreform gegen\u00fcber der Hemmung auf wenige Ausnahmef\u00e4lle begrenzt (vgl. BT-Drucks. 14\/6040, S. 97).<\/p>\n<\/div>\n
28\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Dieser Beurteilung steht die Entscheidung des II. Zivilsenats vom 24. Juli 2012 (aaO Rn. 15) nicht entgegen. Soweit dort f\u00fcr den Beginn der Verj\u00e4hrungsfrist auf die Kenntnis des Insolvenzverwalters abgestellt wurde, betraf dies den Sonderfall der als Innenhaftung ausgestalteten Existenzvernichtungshaftung. Bei dem existenzvernichtenden Eingriff besteht die Besonderheit, dass zwischen dem Sch\u00e4diger und dem Gesch\u00e4ftsf\u00fchrer der anspruchsberechtigten Gesellschaft Personenidentit\u00e4t vorliegen kann. Ist der Sch\u00e4diger das einzige Organ der Gesellschaft, ist seine Kenntnis f\u00fcr den Verj\u00e4hrungsbeginn bedeutungslos (vgl. BGH, Urteil vom 9. Februar 2009 – II ZR 292\/07, BGHZ 179, 344 Rn. 34).<\/p>\n<\/div>\n
III.<\/p>\n<\/div>\n
29\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Das Urteil ist danach aufzuheben (\u00a7 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zur\u00fcckzuverweisen (\u00a7 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung kann der Senat nicht treffen, weil die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist (\u00a7 563 Abs. 3 ZPO).<\/p>\n<\/div>\n
30\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Das Berufungsgericht wird die Frage, ob die f\u00fcr die Schuldnerin verantwortlich handelnden Personen wussten, dass keine Verpflichtung zur Zahlung von Basisdividenden und einer \u00dcbergewinnbeteiligung bestand, nach den Ma\u00dfst\u00e4ben des Senats neu zu beurteilen haben. Da f\u00fcr das Bestehen einer solchen Verpflichtung die objektive Ertragslage der Schuldnerin ma\u00dfgeblich ist und nicht der Inhalt der festgestellten Jahresabschl\u00fcsse, wird die Kenntnis der Schuldnerin von einer fehlenden Leistungspflicht kaum beurteilt werden k\u00f6nnen, wenn nicht zun\u00e4chst festgestellt wird, ob und in welchem Umfang die Jahresabschl\u00fcsse – gegebenenfalls aufgrund von die bilanzrechtlich einger\u00e4umten Bewertungsspielr\u00e4ume \u00fcberschreitenden Bewertungen – unzutreffende, von der objektiven Ertragslage abweichende Jahres\u00fcbersch\u00fcsse ausweisen.<\/p>\n<\/div>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"
BGH, Urteil vom 7.4.2022 \u2013 IX ZR 107\/20 ECLI:DE:BGH:2022:070422UIXZR107.20.0 Volltext: BB-Online BBL2022-1089-4 Amtlicher Leitsatz Hinsichtlich des Beginns der Verj\u00e4hrungsfrist hat sich der Insolvenzverwalter die bereits vor Er\u00f6ffnung des Insolvenzverfahrens erlangte Kenntnis des Insolvenzschuldners von den den Anspruch begr\u00fcndenden Umst\u00e4nden und der Person des Drittschuldners grunds\u00e4tzlich zurechnen zu lassen. Sachverhalt Der Kl\u00e4ger ist Verwalter in dem … <\/p>\n