Vor Insolvenzeröffnung bestehende Aufrechnungslage zwischen rückständigen Gehaltsansprüchen des Geschäftsführers und dem gegen ihn bestehenden Anspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG ist nicht nach § 94 InsO geschützt

Eine vor Insolvenzeröffnung bestehende Aufrechnungslage zwischen rückständigen Gehaltsansprüchen des Geschäftsführers und dem gegen ihn bestehenden An-spruch aus § 64 Satz 1 GmbHG ist nicht nach § 94 InsO geschützt, wenn die Auf-rechnungslage durch eine anfechtbare Rechtshandlung erworben wurde.

BGH URTEIL II ZR 18/12 vom 19. November 2013

GmbHG § 64 Satz 1; InsO §§ 94, 96 Abs. 1 Nr. 3, 131 Abs. 1 Nr. 1

Eine vor Insolvenzeröffnung bestehende Aufrechnungslage zwischen rückständigen Gehaltsansprüchen des Geschäftsführers und dem gegen ihn bestehenden An-spruch aus § 64 Satz 1 GmbHG ist nicht nach § 94 InsO geschützt, wenn die Auf-rechnungslage durch eine anfechtbare Rechtshandlung erworben wurde.

BGH, Urteil vom 19. November 2013 – II ZR 18/12 – KG

LG Berlin – 2 –

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. September 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann, den Richter Prof. Dr. Strohn, die Richterinnen Caliebe und Dr. Reichart und den Richter Sunder

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Kammergerichts vom 2. Dezember 2011 aufgehoben.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 10. September 2009 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Verurteilung zur Zahlung von 755,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. April 2009 wirkungslos ist.

Die Kosten der Rechtsmittel trägt der Beklagte.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Ver-mögen der C. GmbH (künftig: Schuldnerin), das auf den An-trag vom 1. November 2007 am 10. Dezember 2007 eröffnet wurde. Er nimmt den Beklagten, der bis zum 30. Oktober 2007 Geschäftsführer der Schuldnerin war, auf Erstattung von Zahlungen der Schuldnerin im Zeitraum vom 1. bis

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16. Oktober 2007 in Höhe von 13.729,22 € mit der Begründung in Anspruch, die Schuldnerin sei zum 30. September 2007 zahlungsunfähig und überschuldet gewesen.

Der Beklagte hat sich mit der Begründung, die Schuldnerin sei nicht zah-lungsunfähig gewesen und er habe zudem hinsichtlich der Zahlungen nicht schuldhaft gehandelt, gegen die Klage verteidigt. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.

In der Berufungsinstanz hat sich der Beklagte zunächst mit der Begrün-dung, dem Kläger stehe entgegen der Ansicht des Landgerichts kein Anspruch aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. zu, gegen die erstinstanzliche Entschei-dung gewandt. Im Laufe des Berufungsverfahrens hat er gegen die Klageforde-rung mit einem Teil seiner rückständigen Gehaltsforderungen (Januar bis März 2007 in Höhe von 11.505 €, April 2007 in Höhe von 2.224,22 €) aufgerechnet, die durch Urteil des Landgerichts Berlin vom 5. Mai 2011 (5 O 190/10) rechts-kräftig als Insolvenzforderung gegenüber dem Kläger in einer Gesamthöhe von 30.680 € für die Zeit von Dezember 2006 bis Juli 2007 festgestellt worden sind.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Kläger die Klage in Höhe der Nebenforderung (vorgerichtliche Anwaltskosten) mit Zu-stimmung des Beklagten zurückgenommen. Der Beklagte hat erklärt, sich nur noch mit der erklärten Aufrechnung gegen die Klage verteidigen zu wollen. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage im Hinblick auf die erklärte Aufrechnung abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Beru-fungsgericht zugelassene Revision des Klägers.

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Entscheidungsgründe:

Die Revision des Klägers hat Erfolg und führt unter Aufhebung des Beru-fungsurteils zur Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung im Um-fang des vom Kläger nach Teilrücknahme noch verfolgten Klagebegehrens.

I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-sentlichen ausgeführt:

Die Aufrechnung des Beklagten gegen den Anspruch des Klägers aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. (= § 64 Satz 1 GmbHG) habe Erfolg und führe zum Erlöschen der Klageforderung (§ 389 BGB). Die zwischen der Forderung des Klägers und den Ansprüchen aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. vor In-solvenzeröffnung bestehende Aufrechnungslage (§ 387 BGB) habe zugunsten des Beklagten nach § 94 InsO fortbestanden. Anhaltspunkte für Aufrechnungs-verbote nach § 96 Abs. 1 InsO seien dem Parteivortrag nicht zu entnehmen. Der Anspruch aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. schließe auch nicht seiner Eigenart nach jede Aufrechnung aus. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, ob der Ge-schäftsführer gegen eine Forderung aus § 64 Satz 1 GmbHG bzw. § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. mit vor Insolvenzeröffnung erworbenen Gehaltsforderun-gen aufrechnen kann.

II. Die angefochtene Entscheidung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Dabei kommt es auf die Frage, deretwegen das Berufungsgericht die Revision zugelassen hat, für die Entscheidung nicht an. Die vom Beklagten erklärte Aufrechnung ist schon gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO insolvenzrechtlich unwirksam.

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1. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung ist das Berufungsge-richt zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger gegen den Beklagten eine Forderung aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F., gegen die der Beklagte aufge-rechnet hat, zusteht. Mit ihren insoweit erhobenen Gegenrügen kann die Revi-sionserwiderung nicht mehr gehört werden. Die Revisionserwiderung verkennt, dass das Berufungsgericht seiner Entscheidung das Bestehen der Klageforde-rung ohne eigene Prüfungskompetenz zu Grunde zu legen hatte, nachdem der Beklagte sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nur noch mit der (Haupt-)Aufrechnung gegen die Klage verteidigt hat (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2001 – VIII ZR 294/99, WM 2001, 2023, 2024 mwN; s. hierzu auch BGH, Urteil vom 13. Februar 1996 – XI ZR 148/95, WM 1996, 1153 f.).

2. Gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, zwischen den (aus Ja-nuar bis April 2007) rückständigen Gehaltsansprüchen des Beklagten und dem Anspruch des Klägers aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. habe vor Insol-venzeröffnung eine Aufrechnungslage bestanden, wendet sich die Revision – zu Recht – nicht.

Eine Aufrechnungslage besteht, wenn die in § 387 BGB normierten Tat-bestandsmerkmale Gegenseitigkeit, Gleichartigkeit, Durchsetzbarkeit der Aktiv-forderung des Aufrechnenden und Erfüllbarkeit der Passivforderung des Auf-rechnungsgegners gegeben sind (st. Rspr. siehe nur BGH, Urteil vom 19. Mai 2011 – IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271 Rn. 6 mwN; Erman/Wagner, BGB, 13. Aufl., § 387 Rn. 1). Zutreffend hat das Berufungsgericht die Merkmale der Gegenseitigkeit, Gleichartigkeit, Durchsetzbarkeit der Gehaltsansprüche und (unter Bezugnahme auf BGH, Urteil vom 16. März 2009 – II ZR 32/08, ZIP 2009, 956 Rn. 20; ebenso BGH, Beschluss vom 23. September 2010 – IX ZB 204/09, ZIP 2010, 2107 Rn. 13 ff.) der Erfüllbarkeit der Passivforderung aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. als gegeben angesehen.

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3. Das Berufungsgericht hat aber, wie die Revision zu Recht rügt, ver-kannt, dass die nach seinen Feststellungen vor Insolvenzeröffnung bestehende Aufrechnungslage (§ 387 BGB) zwischen den rückständigen Gehaltsforderun-gen des Beklagten und dem Anspruch der Schuldnerin aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. nicht nach § 94 InsO geschützt ist, weil zu Lasten des Beklagten das Aufrechnungsverbot aus § 96 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO eingreift. Nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist die Aufrechnung insolvenzrechtlich unwirksam, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Dies setzt voraus, dass die Auf-rechnungslage in einer von §§ 130 ff. InsO beschriebenen Weise anfechtbar erworben worden ist (BGH, Urteil vom 29. Juni 2004 – IX ZR 195/03, BGHZ 159, 388, 393; Urteil vom 14. Juni 2007 – IX ZR 56/06, ZIP 2007, 1507, 1508; Versäumnisurteil vom 15. November 2007 – IX ZR 212/06, ZIP 2008, 235 Rn. 9). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.

a) Der Beklagte hat die Aufrechnungslage durch die (verbotenen) Zah-lungen in der Krise der Schuldnerin herbeigeführt. Unter einer Rechtshandlung im Sinne der §§ 129 ff. InsO ist jedes von einem Willen getragene Handeln zu verstehen, das eine rechtliche Wirkung auslöst und das Vermögen des Schuld-ners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann (st. Rspr., siehe nur BGH, Urteil vom 7. Mai 2013 – IX ZR 191/12, ZIP 2013, 1180 Rn. 6 mwN). Da-rauf, ob die rechtliche Wirkung auf dem Willen des Handelnden beruht oder – wie hier – kraft Gesetzes eintritt, kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 7. Mai 2013 – IX ZR 191/12, ZIP 2013, 1180 Rn. 6).

b) Die (verbotenen) Zahlungen hatten eine Benachteiligung der Insol-venzgläubiger zur Folge, weil sie zu einem Anspruch der Schuldnerin gegen den Beklagten und damit zu der Möglichkeit der Aufrechnung führten, welche den Erstattungsanspruch aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. der Gesamtheit

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der Gläubiger entzog, während der Beklagte ohne die Aufrechnung nur eine Insolvenzforderung hätte geltend machen können.

c) Die Herstellung der Aufrechnungslage durch den Beklagten führte zu einer inkongruenten Deckung (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Der Beklagte hatte ge-gen die Schuldnerin keinen Anspruch auf eine Begründung gegenseitiger For-derungen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 29. Juni 2004 – IX ZR 195/03, BGHZ 159, 388, 393 f.).

4. Wegen der bereits insolvenzrechtlichen Unwirksamkeit der Aufrech-nung des Beklagten kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die Frage, ob die Eigenart des Anspruchs aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. (= § 64 Abs. 1 GmbHG) die Aufrechnung ausschließt (bejahend: Wittkowski/Kruth

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in Nerlich/Römermann, InsO, 24. Erg.L. 2012, § 94 Rn. 25 und § 96 Rn. 5), nicht mehr an.

Bergmann Strohn Caliebe

Reichart Sunder

Vorinstanzen:

LG Berlin, Entscheidung vom 10.09.2009 – 7 O 36/09 –

KG Berlin, Entscheidung vom 02.12.2011 – 14 U 180/09 –

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